Veranstaltet von tanzfähig und Dachverband Tanz Deutschland in Zusammenarbeit mit dem Hochschulübergreifenden Zentrum Tanz Berlin
Über das Gewohnte hinaus:
Was bedeutet es für den Zeitgenössischen Tanz, wenn andere Körperlichkeiten hinzukommen? Die von Menschen mit Behinderungen, von älteren Menschen, mit anderen kulturellen Erfahrungen?
Zu “Tanz Körper Erweiterung“ waren alle eingeladen, die nach Möglichkeiten suchen, wie sie den herkömmlichen Tanzkörper erweitern können, und diejenigen, die sich schon damit befassen. Die Konferenz gab ihnen die Gelegenheit, ihre Ideen vorzustellen, ihren Fragen nachzugehen, mit den Anderen zu diskutieren und von ihnen zu Neuem angeregt zu werden.
Den Tanz aus der Vielfalt entwickeln: Was ist der künstlerische Gewinn? Was heißt das für Technik und Virtuosität? Wie kann in der Verschiedenheit der Körper unterrichtet werden? Tänzer*innen, Choreograph*innen, Pädagog*innen, Wissenschaftler*innen u.a. brachten ein, was sie erfahren, erforscht, erlebt haben. Arbeitsgruppen mit Projektbeispielen führten den Austausch fort.
Die Konferenz wandte sich an Tanz-Interessierte jeglichen Alters. Tänzerische Vorerfahrungen, kulturelle Prägungen oder Behinderungen aller Art warne nicht erforderlich, aber willkommen.
Die Theorie wurde in die Praxis erweitert. Unmittelbar im Anschluss an die Konferenz fand in Berlin das internationale Workshop-Festival MeetShareDance 2017 statt. www.meetsharedance.com
STIMMEN ZUR KONFERENZ
Das Thema ist neu und spannend. Ich habe viele interessante und sympathische Menschen getroffen und z.T. sehr tiefe und vertrauliche Gespräche geführt. Auch "Kritisch-Hartes" wurde als Bereicherung gesehen, Diversität war auch hier gegeben. Meine Sicht auf meine eigene Krankheit hat sich verändert, mögliche Zukunftsperspektiven sind entstanden. Ariane Hassan Pour-Razavi | Now I am looking at my work with MS and Parkinson's dancers from a more artistic viewpoint, and am trying to get the participants to feel the same way. Dance is not just therapy with music. I am wondering how we can reach to recognize difference not being hierarchical - different but equal in a realistic way. Stephanie Greenwald | The conference was great. It raised up a few important questions... I need time to check my notes and reflect about it. Alessandro Schiatarella | ||
I extend my gratitude for this opportunity to explore a new area of dance and cultural research at your inaugural conference. Besides enjoying the research and preparation processes for my own presentation that opened new vistas for me as a dance scholar, I was educated and moved by the presentations I attended. It's thrilling to see what people are doing in extending the reach of dance culture and in broadening the concept of "dance as art". Thanks for your part in this quiet revolution. Brenda Dixon-Gottschild | Ich habe auf viel Input gehofft und habe ihn auch bekommen! Die verschiedenen Formate wie Vorträge, Arbeitsgruppen und Gespräche haben gut funktioniert. Es war schön, dass die Teilnehmer sehr unterschiedlich waren. Die Location war toll, und die Gastgeber*innen sehr sympathisch. Ich bin auch an Wissen und Theorie interessiert, davon gab es relativ wenig. Christiana Rosenberg | Ich habe einen neuen Blick für meine tanzpädagogische und choreographische Praxis gewonnen und will Diversität in meiner künftigen Arbeit mehr fördern und fordern. Auch die Zusammenarbeit mit Choreographen mit Behinderungen interessiert mich nun mehr, und ich werde die entstandenen Kontakte für mögliche Zusammenarbeit nutzen. Danke für diese Erfahrung! Izabella Herzfeld | ||
Durch die Konferenz habe ich viel Bestärkung und neue Ideen für meine eigene Arbeit als Musiktherapeutin und Leiterin von kleinen Kunstgruppen mit behinderten Menschen gewonnen. Ich empfand die Abgrenzung zur Sozialarbeit zu stark, da sie die nicht in der “öffentlichen Tanzszene“ wirkenden Sozialarbeiter ausschließt bzw. an den Rand drängt. Auch hätte ich mir gewünscht, dass noch mehr Kulturschaffende der Berliner Tanzszene einbezogen worden wären, und mehr Filmmaterial von Projekten, die sich vorstellen. Die Thematik der Konferenz sollte unbedingt fortgesetzt und erweitert werden. Karin Hartmann | I leave this conference full of energy, motivation to try out, to follow up newly made contacts and to widen my field of experience. Therefore, this conference exceeded any expectation I might have had before. It was well moderated, and it offered ample time for exchange. I particularly enjoyed the 5 minutes presentational format. I'd liked to have more of “Vermittlungs“ strategies and methods in mixed abilities groups of dancing people. Jenny Coogan | Super gathering! I'd have liked to have more little movement exercises inbetween to digest all the ideas more easily. Contemporary dance as a practice of art should not discuss about inclusion, it should be part of the way of doing it. Karina Suárez Bosche | ||
Die Konferenz hat mich grundsätzlich bereichert. Sie hat mich weiter sensibilisiert, was Sprache und Ästhetik angeht, und sie hat mich, was aber nicht “schlimm“ ist, verunsichert. Am ersten Tag gaben die inhaltlich und strukturell guten Formate viel Information. Am zweiten Tag waren die beiden Gespräche sehr spannend, auch wenn die Moderation unterschiedlich gut war. Sabine Karoß | I really enjoyed the conference, it was exciting to see so many people from different perspectives and approaches in dance in one room and to feel that there is an energy and impetus to begin to tackle this territory in Berlin. I think you did a wonderful job and this was a wonderful event and great to hear the beginnings of this evolving discourse. The last panel that addressed language was really important and useful and would have been well placed to begin the conference and frame thinking. I would have liked to have heard more from the voices of disabled artists and the participants in many non-disabled people’s projects, it felt a little like some people were speaking in their place and these voices would have been good to have in the mix. I’m also a fan of ideas for next steps and would have welcomed a moment or a group to map out some thoughts of what people need or want next... Luke Pell | Die positive Stimmung, die Freude und Offenheit im Umgang miteinander während der gesamten Konferenz war ein Kraftspender. Insofern wurde ich reich beschenkt. Ich bin jetzt motiviert, weiterzumachen, dran zu bleiben und tiefer zu gehen. Ich habe das Bedürfnis, in einer inklusiven Produktion zu tanzen, sie eventuell selbst zu organisieren. Ich denke daran, behinderte TänzerInnen nach Österreich einzuladen, als GastchoreografInnen oder als GastdozentInnen an die Uni. Katharina Senk | ||
Ich bin überaus dankbar für die Möglichkeit, die die Konferenz mir geboten hat, mich mit Menschen auszutauschen, die die gleiche Vision und Idee in sich tragen. Die Größe und den Umfang der Konferenz hätte ich so nicht erwartet. Das hat mich motiviert und inspiriert, mit meiner Arbeit weiterzumachen, und ich habe Kontakte knüpfen können, die mich dabei unterstützen können. Sarah-Lena Brieger | Meine eigene Vorstellungen zu Tanz und inklusivem Arbeiten wurden sehr gerüttelt. Viele Impulse lassen sich auf meine Arbeit übertragen. Was gesagt worden ist, bezieht sich nicht nur auf behinderte Menschen, sondern allgemein auf andere Gesellschaftsgruppen wie Senioren, Kinder oder Transsexuelle und deren Sichtbarkeit in der Öffentlichkeit. Mir wurden durch die Konferenz meine Sprache und meine Ausgrenzungen, die ich selber mache, deutlich. Babette Kunze Bornemann | Die Konferenz war wunderbar organisiert. Vom Programm bin ich begeistert. Die Begrifflichkeit ist greifbar geworden. Neue Perspektiven haben sich geöffnet, Verbindungen und Vernetzungen konnten sich bilden. Die Diversität unter den Teilnehmern hat Raum und Zeit bekommen, sich zu zeigen. Mehr Bewegungseinlagen wären schön gewesen. Das Warm-up am zweiten Tag war sehr schön und eine gute Ergänzung zu den verbalen Anteilen. Ulla Schorn |
BERICHT KONFERENZ
Mehr als 120 Personen nahmen an der Konferenz in den Räumlichkeiten der Uferstudios im Berliner Wedding teil und machten durch ihre Offenheit und lebhafte Beteiligung die Tagung zu einem großen Erfolg. Die verschiedenen Formate mit drei längeren Vorträgen und mit 13 Kurzbeiträgen in einem Forum, mit drei Arbeitsgruppen und zwei Panel-Diskussionen ergänzten sich abwechslungsvoll. Sie lieferten nicht nur reichhaltige Informationen, sondern regten auch die Teilnehmer dazu an, miteinander ins Gespräch zu kommen.
In seinem Grußwort unterstrich der Berliner Senator für kulturelle Angelegenheiten und Europa, Klaus Lederer, dass Diversität nicht nur kulturell gesehen werden kann; wesentlich gehört für ihn auch die durch Behinderung bedingte dazu. Joanne Lyons und Tanja Erhart von Candoco Dance Company veranschaulichten das Konferenzthema, indem sie von den allgemeinen Erfahrungen einer inklusiven Tanzkompanie und den persönlichen einer behinderten Tänzerin berichteten. Die Auseinandersetzung mit ihm wurde von den beiden Co-Leiter von tanzfähig, Evelyne Walser-Wohlfarter und Bernhard Richarz, vertieft, indem sie das tanzpädagogische und künstlerische Wirken ihrer Tanzinitiative mit der Konstruktion von Andersheit in Geschichte und Gesellschaft verbanden. Die emeritierte Tanzprofessorin Brenda Dixon-Gottschild forderte die Teilnehmer auf, sich nicht mit diesen Umständen abzufinden, und stellte ihnen einige Tänzer vor, die sich dagegen erhoben hatten. Die Vielschichtigkeit des Themas zeigte sich im Forum, wo in rascher Abfolge der Beiträge Teilnehmer vorstellten, was sie bewegten oder was sie bewegte.
Entsprechend ihren Interessen wandten sich die Teilnehmer in den Arbeitsgruppen einzelnen Fragestellungen zu. Am meisten Zuspruch erhielt die von Silke Schönfleisch-Backofen moderierte Arbeitsgruppe, in der der Frage des Unterrichtens in Differenz nachgegangen wurde. Während hier das Anschauungsmaterial im Mittelpunkt stand, das von Susanne Schneider, Corinna Mindt und Katharina Senk eingebracht wurde, entstand in der von Karin Kirchhoff moderierten Arbeitsgruppe zum künstlerischen Gewinn körperlicher Vielfalt eine angeregte Arbeitsatmosphäre, nachdem Sigal Bergman das Projekt vorgestellt hatte, an dem sie beteiligt war. Kontrovers verlief die von Astrid Kaminski moderierte Arbeitsgruppe zur Virtuosität im erweiterten Tanzkörper, für die Lisette Reuter die Anregung aus der Praxis gegeben hatte. Im Plenum danach wurden die Ergebnisse der Arbeitsgruppen für alle Teilnehmer zusammengefasst.
In mehreren Diskussionen wurde die Konferenz fortgesetzt. Mit gespannter Aufmerksamkeit folgten die Teilnehmer den Ausführungen von Matan Zamir und Nicola Mascia im ersten Podiumsgespräch mit Ulla Schorn; eindruckvoll war dabei mitzuerleben, wie sich bei den Tänzern und Choreographen Person und Werk verbanden und sie in ihrer künstlerischen Gestaltung gesetzte Grenzen überschritten. Als danach Dodzi Dougban, Tanja Erhart und Anna Mülter zum zweiten Podiumsgespräch zusammenkamen, ging es unter der Gesprächsleitung von Susanne Quinten wesentlich darum, ausgehend von den jeweiligen Erfahrungen der drei Diskutanten zu bestimmen, was die richtigen Worten sein konnten, um im einzelnen das zu beschreiben, was mit dem Konferenzthema übergreifend bezeichnet war, aber auch, was es brauchte, es noch mehr in die Praxis umzusetzen. In der abschließenden offenen Diskussion mit allen Teilnehmern reihten sich in lockerer Assoziation verschiedene Bemerkungen aneinander, von ersten Überlegungen, was die Konferenz den Teilnehmern gebracht haben könnte, über den Blick zurück, wie sich in den vergangen fünf bis zehn Jahren der Umgang mit körperlicher Differenz im Tanz verändert hatte, hin zu dem Wunsch, das Thema in einer weiteren Tagung wieder aufzugreifen.
Für einige Teilnehmer setzte sich die Beschäftigung mit dem erweiterten Tanzkörper unmittelbar nach der Konferenz fort. Nachdem es auf der Tagung nur in einem Aufwärmen, das von Evelyne Walser-Wohlfarter angeleitet war, die Gelegenheit gegeben hatte, sich selbst zu bewegen, stand im anschließenden, ebenfalls von tanzfähig mitveranstalteten Workshopfestival MeetShareDance der tänzerische Austausch im Mittelpunkt.
ZUSAMMENFASSUNG DER ARBEITSGRUPPEN
Mit pädagogisch, künstlerisch und wissenschaftlich ausgerichteten Fragestellungen wurde die Thematik der Konferenz in drei Arbeitsgruppen vertieft.
Die Arbeitsgruppe 1
"Wie Differenz unterrichten?" wurde von Silke Schönfleisch-Backofen moderiert. Im ersten der drei Impulsreferate führte Katharina Senk aus, dass dieses Wie an den Tanzfakultäten österreichischer Universitäten kaum anzutreffen und die Inklusion von Menschen mit Behinderungen in die Tanzstudiengänge die Ausnahme sei; um daran etwas zu ändern, muss es ihrer Meinung nach sowohl von den Institutsleitungen gewollt als auch von den Studierenden verlangt sein. Um mehr darüber zu erfahren, was es bedeutet, in körperlicher Differenz zu unterrichten, wurde in den Impulsreferaten daher der außeruniversitäre Bereich einbezogen. Susanne Schneider zufolge, die über den von ihr geleiteten Verein BewegGrund in Bern berichtete, würden im gemeinsamen Unterricht von behinderten und nicht-behinderten Menschen zwar die jeweilige Tanzübung von jedem anders angegangen, aber als Lehrende würden sie Tanztechnik inzwischen so unterrichten, dass sie für jede Körperlichkeit anzuwenden sei, ohne dass sie vom einzelnen Tänzer auf seine Bedingungen angepasst werden müsse. Während sie damit im Unterricht das Wechselspiel von Gemeinsamkeit und Unterschiedlichkeit berücksichtigte, zielte Corinna Mindt darauf ab, dass die bewusst eingesetzte körperliche Verschiedenheit das Repertoire von allen Tänzern erweitern könne; in der Bremer Kompagnie tanzbar, bei der oft Tänzer mit und ohne Behinderungen gemeinsam unterrichteten, würden dafür beispielsweise Worte aus der Gebärdensprache in Tanzbewegungen überführt. In der folgenden Diskussion wurde deutlich, dass es für einen Unterricht in Differenz nicht genügt, behinderte Tänzer gutwillig an einer üblichen Tanzklasse teilnehmen zu lassen; denn damit blieben aufkommende Schwierigkeiten ebenso unberücksichtigt wie die sich daraus ergebenden besonderen Möglichkeiten ungenutzt.
Weiter wurde von den Teilnehmern darauf hingewiesen, dass im Unterrichten von Tänzern mit Behinderungen der Zeit Bedeutung zukomme: Behinderte Tänzer hätten bei der Übernahme von Bewegungsabläufen und allgemein im Training eine andere Zeitspanne, was dann nicht-behinderte Tänzer befürchten lasse, sie würden in ihrem Lernen eingeschränkt, weil alles länger dauere. Um zu vermeiden, dass neben den üblichen Tanzklassen mit der gewohnten Ausrichtung auf körperliche Leistung ein inklusiver Unterricht als Sonderausbildung entstehe, bedürfe es eines Blickes auf Behinderung, der sie als etwas Eigenartiges ansehe, das sich im Tanz ausdrücke. Dafür, dass eine Ausbildung im Tanz nicht Konformismus und Stereotypien folgt, sind nach Auffassung von Teilnehmern der Arbeitsgruppe Lehrer und Schüler gleichermaßen verantwortlich; es brauche eine offene Kommunikation, in der sich alle Beteiligten über Machbares und Nicht-Machbares, Sinnvolles und Unsinniges austauschten. Dennoch komme es auf die Haltung der Lehrenden an, weil sie die Bedingungen des gemeinsamen Unterrichts vorgebe; das setze sich bis in die Sprache fort, denn selbst die Begriffe, die sie verwendeten, könnten einbeziehen oder ausschließen. Damit der Tanz im Vordergrund stehe und nicht die Unterschiedlichkeit, kann es nach Ansicht der Teilnehmer wichtig werden, auch das Scheitern anzusprechen, das jeder Tänzer erlebe, wenn er seinen Erwartungen nicht genüge oder er eine Technik nicht beherrsche. Auch beim Unterrichten könne aus dem Scheitern eines Ansatzes gelernt werden, wie es besser zu machen sei. Die Teilnehmer stimmten darin überein, dass es kein fertiges Konzept gebe, wie Differenz zu unterrichten sei. Vielmehr bringe erst das vermehrte und wiederholte Versuchen die Erfahrungen, die es brauche, damit körperliche Vielfalt im Tanz nicht als Verlust, sondern als Bereicherung für den Tanz erlebt werden können.
Die Arbeitsgruppe 2
"What is the Artistic Benefit of Physical Diversity?" wurde von Karin Kirchhoff moderiert. Sigal Bergman stellte dabei das deutsch-israelische Projekt "Störung / Hafra'ah" vor, an dem professionelle Tänzer, Wissenschaftler und Parkinson-Patienten gleichermaßen beteiligt waren. In einem von ihr gezeigten Video, in dem eine Tänzerin sich rückwärts durch die Flure eines Krankenhauses bewegte, hatte sie ihrer eigenen Erfahrung mit der Krankheit einen künstlerischen Ausdruck verliehen; unter anderem griff sie darin auf, dass es ihrer Mutter, die an einem Parkinson-Syndrom erkrankt war, wie allen Betroffenen außerordentlich schwer fiel, rückwärts zu gehen. Für sich selbst als Künstlerin sah sie einen vielfachen Gewinn aus ihrer Begegnung mit Parkinson-Tänzern: Ein Personkreis und eine Bewegungsqualität werde in den Tanz einbezogen, die üblicherweise in ihm nicht vorkomme; ebenso finde ein Publikum, nämlich Parkinson-Kranke und deren Angehörige, Zugang zum zeitgenössischen Tanz, das ihn sonst nicht habe; ihr Nachdenken, was einen Tänzer ausmache, sei angeregt und die Klarheit des tänzerischen Ausdrucks gefördert worden; der Bezug des Tanzes zur Welt im allgemeinen werde vergrößert und Themen wie Alter und Tod in ihn einbezogen.
Im weiteren setzten sich die Teilnehmer mit großer persönlicher Beteiligung mit der Fragestellung der Arbeitsgruppe auseinander. Sie kamen in ihren Bemerkungen zwar immer wieder auf den therapeutischen Wert des Tanzes für Parkinson-Patienten zurück, wie es auch in dem vorgestellten Projekt untersucht worden war, doch im Mittelpunkt stand die künstlerische Dimension eines erweiterten Tanzkörpers. Dabei ging es vor allem darum, wie sich der Blick des Publikums auf den behinderten Körper verändern könne, und es war unter den Teilnehmern strittig, wie wichtig dabei Empathie sei. Wie Sigal Bergman meinte, sei es für Zuschauer oft sehr herausfordernd, unwillkürliche Bewegungen auf der Bühne zu sehen; denn sie seien emotional und irgendwie medizinisch. Doch, wie ein Teilnehmer sagte, gebe es Orte in der Welt, wo genau diese Bewegungen ihren Sinn hätten. Auch könne es für Parkinson-Kranke oder Behinderte bedeutsam sein, zu erleben, dass ihre unkontrollierten Bewegungen für den Tanz ebenso wichtig seien wie die trainierten und kontrolliert ausgeführten der Tänzer. Indem sie ihren Körper selbstbestimmt auf der Bühne zeigten, könne ein "normales" Publikum wiederum seinem Wunsch folgen, anzuschauen, was seine Neugierde wecke, und dadurch seine Ängste vor dem Fremden oder Unheimlichen überwinden. In einem wechselseitigen Lernen könne eintreten, was ein Teilnehmer so ausdrückte: "Schau nicht auf meine Behinderung, schau auf meinen Körper, auf meine Körperlichkeit!" In der Diskussion ging es auch um die Rolle des Choreografen. Es wurde festgestellt, dass er genau darauf zu achten habe, wann er die besonderen Bewegungen seiner Tänzer auf die Bühne bringe. Indem er es tue, überschreite er eine Grenze und mache er sich zugleich zum Anwalt seiner Tänzer. Für sie könne der Tanz therapeutisch sein, doch für den Choreographen bleibe das Ziel, künstlerisch zu wirken.
Anwaltschaft, Therapie und Kunst waren für die Teilnehmer der Arbeitsgruppe keine Widersprüche, aber sie hielten es für wichtig, gerade angesichts einer möglichen Überschneidung von Kunst und Therapie genau hinzuschauen, die damit verbundenen Fragen nicht zu übergehen und darin klar zu bleiben, dass sich der künstlerische Wert aus dem ergebe, was vor dem Publikum geschehe. Damit verbunden war für sie die Frage, was einen Künstler bzw. einen Tänzer ausmache; die Bewegung allein könne es nicht sein, denn für einen behinderten Menschen bedeuteten seine typischen Bewegungen den Ausschluss von der Bühne, während ein professioneller Tänzer, wenn er sie treffend nachahme, für seine Kunstfertigkeit anerkannt werde.
Arbeitsgruppe 3
Die Arbeitsgruppe 3 "Wo bleibt das Virtuose im erweiterten Tanzkörper?" wurde von Astrid Kaminski moderiert. Sie forderte die Teilnehmer als erstes auf, für sich zu bestimmen, was sie mit Virtuosität verbänden. Die Einfälle reichten weit und beinhalteten die besondere Könnerschaft ebenso wie Einzigartigkeit, Bewunderung, hochqualifizierte Ausbildung, Wagnis oder mögliche Verletzung und verlorene Definition einer bestimmten Ästhetik. Als Lisette Reuter dann das interdisziplinäre, interkulturelle und inklusive Projekt "Un-Label" vorstellte, hob sie hervor, welch große Herausforderung es für sie bedeutet habe, unter den Bedingungen einer künstlerischen, menschlichen und körperlichen Vielfalt eine alle einbeziehende Kommunikation sicherzustellen. Mit ihrer zweiten Frage, ob eine stumme Sängerin etwas mit einem warmen Kühlschrank gemeinsam habe, regte die Moderatorin die Teilnehmer dazu an, darüber nachzudenken, welche körperliche Funktionen es für den Tanz brauche. Ihre dritte Frage, was heute unter Tanz zu verstehen sei, rundete die Klärung der in der Fragestellung genannten Begriffe ab. Wiederum deckten die Antworten eine große Breite ab; so wurde das Wesen des Tanzes in der körperlichen Präsenz und der Bewegung gesehen, in der Gestaltungsabsicht und der Offenlegung des geistigen Engagements, im Vorspielen von Leichtigkeit oder in der Subjektivität und individuellen Verletzbarkeit. Unter den Teilnehmern entspann sich eine überaus lebhafte Diskussion, die sich in der gesetzten Zeit nicht abschließen ließ.
In ihrem Verlauf zeichneten sich in Hinblick auf die Ausgangsfrage zwei Standpunkte ab: Die einen waren bemüht, das Virtuose im erweiteren Tanzkörper neu zu definieren; sie hoben hervor, dass Virtuosität nicht mehr, absolut zu bestimmen sei, sondern sich kontextuell ergebe und dann auszumachen sei, wenn Fertigkeiten an einem individuellen Limit genutzt würden. Die anderen hielten dagegen das ganze Konzept für überholt; sie meinten, es sei nicht angebracht, bei einem erweiterten Tanzkörper Virtuosität anzustreben, denn es sei eine Vorstellung, die aus dem Geniekult des 19. Jahrhunderts stamme und mit der Abwertung all derer einhergegangen sei, die heute gerade den herkömmlichen Tanzkörper über das gewohnte hinaus erweitern würden. Damit stand am Ende der Arbeitsgruppe eine neue Fragestellung, nämlich was dann einen erweiterten Tanzkörper ausmachen könne, wenn es in seinem Tanz nicht mehr um Virtuosität gehe.
ZUSAMMENFASSUNG DER DISKUSSIONSRUNDEN
In drei Diskussionsrunden standen die Personen im Mittelpunkt, die sich in unterschiedlicher Weise damit befassten, den Tanzkörper über das Gewohnte zu erweitern. In das, was sie dabei erlebten und was sie dabei bewegte, gaben sie einen persönlichen Einblick, indem sie sich mit ihren Erfahrungen, ihren Gedanken und Anliegen den Konferenzteilnehmern mitteilten.
Mit Matan Zamir und Nicola Mascia, dem Berliner Choreographen-Duo matanicola, unterhielt sich Ursula Schorn zm Thema "Diversity exists". Sie hatten sich im Jahr davor kennen gelernt, als die Berliner Initiative tanzfähig durch ihre Beteiligung am EU-Projekt "Moving Beyond Inclusion" matanicola die Gelegenheit geben konnte, vier Tage lang choreographische Forschung unter den Bedingungen körperlicher Vielfalt zu betreiben. Bevor sich ihr Gespräch seinem eigentlichen Thema zuwandte, legten die drei Gesprächspartner dar, was sie überhaupt dazu gebracht hatte, sich damit zu beschäftigen.
Für Nicola war zwar auch seine Zusammenarbeit mit Matan von ihrer beider Verschiedenheit bestimmt, aber darüber hinaus war für ihn nationale, sexuelle oder persönliche Vielfalt eine so unumstößliche Tatsache, dass es für ihn als Künstler einfach nahelag, sich damit auseinanderzusetzen. Matan führte sein Interesse an Andersheit darauf zurück, dass er mit einer jüngeren Schwester aufgewachsen war, die nach einem Atemstillstand hirngeschädigt nicht sprach, aber nicht-sprachlich ihre Wünsche klar ausdrücken konnte und zu der er sich von klein auf stark hingezogen fühlte, während Ursula ihr Verständnis von Tanz allgemein darauf bezog, dass sie die im Schatten der NS-Zeit erlebte Diskriminerung von Anderen grundlegend geprägt hatte. Matan erwähnte die Forschungstage bei tanzfähig, als er betonte, dass körperliche Verschiedenheit zwar objektiv auszumachen und auch die Gruppe, mit der sie dort gearbeitet hätten, überaus verschieden gewesen sei, dass aber auf einer anderen Ebene alle Menschen gleich seien; im Tanz sei für ihn der gemeinsame Boden, aus dem heraus dann die Gestaltung erfolge, die bewusste Präsenz, d.h. ein Zustand, auf dem die Aufmerksamkeit nicht auf die Objekte der äußeren Welt gerichtet sei, sondern auf die Art und Weise, wie aus dem Inneren des Subjekts die Welt wahrgenommen werde.
Ursula, die die Forschungstage als Beobachterin begleitet hatte, erinnerte, wie eindrucksvoll es für sie gewesen sei, von außen zu wahrzunehmen, wenn die Tänzer diesen gemeinsamen Boden erreicht hätten; dabei gehe es dann bei aller körperlicher Verschiedenheit nicht mehr um Inklusion von behinderten Tänzern, sondern alle hätten eine interne Inklusion ihres Körpers und ihrer Emotion vollzogen, seien miteinander verbunden und doch bestehe die Diversität fort. Nicola stellte klar, dass sie bewusst nicht hervorhöben, wenn sie sich mit Differenz befassten, denn indem man es tue, ändere sich der Blick auf die Menschen. Er verwies auf ihre Arbeit mit Gehörlosen und Parkinson-Tänzern, die nie pädagogisch, sondern immer künstlerisch sei; sie hätten jeweils viele Instruktionen bekommen, was man dürfe oder was man zu unterlassen habe, aber sie würden lieber schauen, was da sei, das würden sie dann entwickeln und kämen damit in Bereiche, wo ihnen vorher gesagt worden sei, das sei unmöglich. Er schilderte, wie sie für "BodySLANGuage", eine Performance mit gehörlosen und hörenden Performern, den Traum einer Gehörlosen aufgegriffen hätten, sie wolle singen; obwohl sie es ihnen davor selbst erzählt habe, sei sie anfangs empört gewesen, als sie sie darin ernst genommen hätten und es umsetzen wollten; sie, die nie zuvor einen Song gehört habe, habe dann mit Worten und teils auch mit Gebärden gesungen und erst nach der Aufführung durch die Rückmeldung anderer Gehörloser verstanden, welche Grenzen sie damit überschritten habe.
Bewusst, so Matan und Nicola, gingen sie in die Bereiche, wo die Emotion sei und wo sie sich selbst herausgefordert fühlten; etwas müsse sie berühren, müsse sie bewegen, damit es für sie bedeutsam werde. Bezogen auf "Bleach", ein Stück, das sie mit fünf Performern mit Down-Syndrom erarbeitet hätten, hob Matan hervor, wie wichtig es ihnen sei, sich bei ihrer künstlerischen Arbeit mit den Menschen zu verbinden, sich zurückzunehmen und von ihnen zu lernen. Nicola ergänzte, dass sie gerade mit diesen Tänzern Abstand von einer festen Form genommen und stattdessen wegen der Unvorhersagbarkeit, die von ihnen ausgegangen sei, sich dafür entschieden hätten, jeweils aufzugreifen, was von ihnen komme, so dass dann jede Vorstellung anders verlaufen sei. In ihrer Schlussbemerkung kam Ursula Schorn noch einmal auf den Begriff der Inklusion zurück. Nun verwies sie darauf, dass Matan und Nicola sich in den Prozess inkludierten und daher die Anderen nicht mehr zu inkludieren seien. Aus dem Publikum bemerkte eine Teilnehmerin, eine Rollstuhl-Fahrerin, wie beeindruckt sie sei, dass matanicola behinderte Menschen nicht für ihre Kunst ausbeuten, sondern ihnen einen Raum für ihre besonderen Möglichkeiten eröffnen würden.
Das folgende Podiumsgespräch zum Thema "Tanz, Körper und Identität" führte Susanne Quinten mit Anna Mülter, Dodzi Dougban und Tanja Erhart. Einleitend hob sie hervor, dass man sich dabei mit einem Thema befasse, dass erstmals vor 20 Jahren Ann Cooper Albright in ihrem Buch "Choreographing Difference" sehr kompetent behandelt habe; heute kämen dafür Personen mit sehr unterschiedlichen Sichtweisen zusammen: Bei Dodzi sei es neben der künstlerischen Sichtweise die pädagogische, bei Tanja neben der der Tänzerin die der Kulturwissenschaftlerin mit dem Schwerpunkt Disability Studies und bei Anna die des Kulturmanagements, während sie selbst Tanzforschung aus Sicht einer Rehabilitationswissenschaftlerin betreibe.
Als erstes wollte sie von ihrem Gesprächspartnern wissen, wie ihrer Meinung nach am besten über Behinderung zu sprechen sei oder was man zu vermeiden habe. Anna verwies kurz darauf, dass sie und Tanja es bei vielen Beiträgen der Konferenz als problematisch befunden hätten, mit wie wenig Gespür für Sprache bestimmte Begriffe verwandt würden. Mit Bezug auf die Disability Studies führte Tanja aus, dass in der englischen Literatur über "behinderte Menschen" gesprochen würde; sie übernehme es für sich, weil damit besagt würde, das Behindert-Sein gehöre zum Menschen dazu, während in der amerikanischen Literatur bewusst von "Menschen mit Behinderung" gesprochen würde, um den Menschen in den Vordergrund zu rücken und nicht die Behinderung. Weiter erklärte sie den Unterschied zwischen dem medizinischen und dem sozialen Modell von Behinderung und gab zu bedenken, dass der Begriff Behinderung allgemein negativ besetzt sei; ihr selbst gebe der Zeitgenössische Tanz einen Raum, wo sie sich jenseits des medizinischen Modells mit ihrem Körper so befassen könne, wie er sei. Dodzi stellte klar, dass er sich nicht behindert fühle, obwohl er von Hörenden dafür gehalten werde, dass er sich aber stigmatisiert fühle, wenn der Kontakt abbreche, weil er gehörlos sei. Auf Susannes Bemerkung, Identität ergebe sich zum einen daraus, wie man über sich spreche, zum anderen daraus, wie über einen gesprochen werde, ergänzte er, dass er in einer afrikanischen Kultur groß geworden sei, wo seine Eltern es als eine Strafe der Götter angesehen hätten, dass er krankheitsbedingt als kleines Kind sein Gehör verloren habe, dass sie ihn aber in alles einbezogen hätten, was sie machten, und er durch sie Sprache gelernt habe. Anna hielt es für wichtig, dass in einem Gespräch die selbstgewählten Bezeichnungen übernommen würden. Sie wies darauf hin, dass eine Unterscheidung zwischen behinderten und normalen Performern eine Hierarchie schaffe, und schlug statt dessen vor, von nicht-behinderten Performern zu sprechen; sie forderte alle dazu auf, sensibel dafür zu werden, welche Bilder mit Sprache geschaffen würden. Mit ihrer nächsten Frage wollte Susanne erkunden, was ihr Körper für das Selbstverständnis von behinderten Tänzern bedeute. Tanja beschrieb, dass sie für den Tanz eigentlich drei Körper habe, je nach dem, ob sie mit Krücken, im Rollstuhl oder ohne Hilfsmittel tanze, und dass sie sich je nach der Aufgabenstellung des Choreographen für einen entscheide bzw. es dem Choreographen anbiete, zu wählen, mit welcher ihrer Körperlichkeiten er arbeiten wolle. Dodzi erkannte sich darin wieder und fand, dass auch er verschiedene Körper habe; so nehme er den Rhythmus über den Boden auf und kommuniziere mit seinem Körper und ihm fehle die Melodie nicht, weil er sie in seinem Körper finde.
Anna sah sich als Teil von Institutionen in der Verantwortung, den in den Medien dominanten Körperbildern etwas entgegenzusetzen und dafür Sorge zu tragen, dass sich auf der Bühne die Körperlichkeiten widerspiegelten, die es in der Gesellschaft gebe. Sie fand es schockierend, wie wenig die Berliner Tanzszene auf der Konferenz vertreten sei und wie sehr dort das Potential unterschiedlicher Körperlichkeit vernachlässigt werde; sie wies auch darauf hin, dass es keine Künstler mit Behinderung in einer verantwortlichen Position gäbe, und hoffte, dass die bei der Eröffnung geäußerten Bedenken des Kultursenators sich in kulturpolitischen Entscheidungen niederschlagen würden. Nachdem Susanne die offene Frage gestellt hatte, was es für die Gesellschaft bedeute, wenn nicht mehr zwischen behindert und nicht-behindert unterschieden werde, wenn Differenz keine Rolle mehr spielte und wenn es eine Sensibilität für alle Unterschiedlichkeit gäbe, wollte sie als letztes von ihren Gesprächspartnern wissen, was ihre Visionen für den Zeitgenössischen Tanz seien. Dodzi wünschte sich mehr Selbstverständlichkeit im Umgang miteinander. Er bedauerte es, dass die Gehörlosen-Community sich nicht als ein Teil der Behinderten-Community sehe und dass Gehörlose den größten Teil ihres Lebens außerhalb von Musik und Tanz verbringen würden. Tanja sprach sich gegen die Dichotomisierung in behindert und nicht-behindert aus. Sie äußerte die Auffassung, dass der Zeitgenössische Tanz dazu beitragen könne, die gesellschaft übliche Reproduktion von Stereotypien über Behinderung aufzubrechen und den Begriff mit anderen Bildern zu verbinden. Dodzi ergänzte daraufhin, dass er in seiner Arbeit mit Kindern und Jugendlichen nicht mit "behindert / nicht-behindert" arbeite, sondern als Individuum auf sie zugehe und ihnen vermittle, dass nicht alles einwandfrei sein müsse, was sie machten. Anna meinte, dass sie als lernende Kuratorin in einer Insitution sich auf einem spannenden Weg befinde, wo Behinderung nicht mehr marginal sei, sondern dominante Vorstellungen herausfordere; bezogen auf die Berliner Tanzszene hoffte sie, dass sich ein Bewusstsein ausbilde für die Schnittmenge von behindert und queer.
In einer abschließenden offenen Diskussion unter Leitung von Bernhard Richarz kamen die Teilnehmer der Konferenz zu Wort. In ihren Beiträgen folgten sie seiner Aufforderung, am Ende der Tagung auszusprechen, welche Gedanken sie nun beschäftigten, was von dem Gehörten und Besprochenen sie bewegte oder was sie meinten, aus ihrer Sicht hinzufügen zu wollen. Aus ihren Bemerkungen ergab sich ein buntes Muster von weiteren Anregungen, persönlichen Wünschen oder Erkenntnissen und gesellschaften Bezügen.
Für Babette Kunze Bornemann, die als erste sprach, war die Thematik der Konferenz neu und sie regte an, in zwei Jahre eine entsprechende Konferenz zu wiederholen, an der dann noch mehr Menschen mit Behinderung beteiligt sein sollten.
Ariane Hassan Pour-Razavi fand die Auseinandersetzung, wie über Behinderung richtig zu sprechen sei, so verwirrend, dass sie als Betroffene darin keine Klärung sah; ebenso blieb für sie unklar, was es für sie bedeuten würde, professionell zu tanzen, und ob sie es überhaupt wolle.
Gabriele Gierz stellte fest, dass sich durch die Konferenz ihr Denken verändere, und für sie ihre Arbeit mit Alten im Tanz nun nicht mehr grundsätzlich verschieden war von der mit Behinderten.
Als Veranstalterin eines Tanzfestivals betonte Karin Kirchhoff, dass sie auf die Qualität und nicht auf die physischen Gegebenheiten von Tänzern schaue, so dass für sie der springende Punkt sei, wie der Zugang zu professionellen Ausbildungen geregelt werde.
Obwohl sie schon lange sich mit Inklusion befasse, so Stefanie Josefine Katzer, könne sie sich erst durch die Konferenz und die Begegnung mit behinderten Tänzern zugestehen, mehr auf sich und ihre körperlichen Grenzen zu schauen.
Dodzi Dougban wandte sich an die Kuratoren und Kulturmanager und forderte sie auf, allen die gleiche Chance zu geben und mit allen zusammenzuarbeiten, unabhängig ob behindert oder nicht.
Um nicht immer wieder an dieselbe Grenze zu stoßen, nämlich in der künstlerischen Arbeit nicht ernst genommen zu werden, sobald Menschen mit Behinderung beteiligt seien, hielt es Lisette Reuter für wichtig, noch viel mehr die Politik in das Gespräch einzubeziehen; sie sah die Chance, Inklusion nicht nur in der Bildung, sondern auch in der Kultur umzusetzen, wenn diejenigen, die in dem Bereich tätig seien, zusamenstünden und sich vernetzten.
Susanne Quinten kam auf das Wort zu sprechen, das sich ihr am stärksten eingeprägt habe, nämlich Sensibilisierung, auch körperliche, für Fragen der Differenz in der Gesellschaft.
Silke Schönfleisch-Backofen wünschte sich mehr mutige Menschen; denn, so fuhr sie fort, wenn wir uns trauten, Dinge zu tun, für die wir brennen würden, dann würden wir Kunst mit oder ohne Behinderung schaffen – und vielleicht auch das Mehr, nach dem wir suchten.
Jess Curtis erinnerte, wie viel sich in den letzten Jahren in dem Bereich von Tanz und Behinderung getan habe, denn als er in Berlin 2010 ein Symposium zu dem Thema organisiert habe, seien es nur ganz wenige Menschen gewesen, die es besucht hätten; er warnte aber auch davor, dass behinderte Körper kolonialisiert würden, denn er selbst bekomme zwanzigmal mehr Förderung, wenn er behinderte Körperlichkeiten einbeziehe; und als Beispiel des Wandels verwies er noch auf seine langjährige Zusammenarbeit mit Claire Cunningham, die anfangs bei ihm performt, aber zuletzt ihn als choreografischen Ratgeber engagiert habe.
Sigal Bergman zeigte sich erstaunt, wie getrennt alle seien, dass sie zwar mit Parkinson-Tänzern arbeite, aber nicht mit anderen Behinderten, und betroffen, wie wenig sie wisse, was sie brauchten oder wie sie die Welt sähen.
Von Stephanie Greenwald wurde kritisch vermerkt, dass es auf der Konferenz viel um Kunst gegangen sei, dass es aber auch von Wert sei, wenn Tänzer mit Parkinson oder MS tanzen würden, weil es ihnen um ihre Gesundheit ginge.
Luke Pell zeigte sich angetan, wie viele Menschen, Perspektiven und Identitäten auf der Konferenz zusammen gekommen seien, und er wies die Aussage als falsch zurück, dass alle behindert seien; er forderte die Konferenzteilnehmer auf, zu bedenken, dass die Strukturen, in denen künstlerisch gearbeitet würde, von Nicht-Behinderten gemacht seien, und sich zu fragen, wo die Stimmen seien, die gehört würden, und wer die Entscheidungen treffe.
Kathryn Rees bezog sich auf ihre Erfahrung im Unterricht und hielt es für geboten, dass auch Tänzer mit Down-Syndrom eine Ausbildung erhielten, die ihrer Leidenschaft für den Tanz entspreche.
Für Sarah-Lena Brieger war es bemerkenswert, so viele Menschen getroffen zu haben, die dieselben Ideen und Visionen in sich trügen; sie hielt es für erforderlich, dass die Gesellschaft sich von klein auf noch viel mehr öffne und dass das Publikum angeregt werde, anders zu denken.
Als letzte meldete sich Ariane Hassan Pour-Razavi noch einmal zu Wort: Sie fände es schwierig, von Nicht-Betroffenen zu verlangen, sich mehr für das Thema der Konferenz zu öffnen; nicht jeder könne es gut ertragen, im Tanz schwer kranke Menschen anzuschauen; dennoch, so fuhr sie fort, sei zu überlegen, was die Gesellschaft dazu bringen könne, dass die Hürden nicht so hoch und der Umgang selbstverständlicher sei.
Die Schlussworte in der offenen Diskussion und in der gesamten Tagung gehörten den Veranstaltern:
Nik Haffner, Leiter des HZT Berlin, warf die Frage auf, ob eine nächste Konferenz in zwei Jahren nicht zu wenig sei und es nicht viel mehr etwas Kontinuierliches bräuchte, um den Prozess weiterzuführen. Er selbst, so fuhr er fort, wolle das Thema in die Ausbildungskonferenz Tanz einbringen, auch wenn es für die Mehrheit wahrscheinlich kaum vorstellbar sei.
Für tanzfähig zeigte sich Evelyne Walser-Wohlfarter davon überwältigt, wie viele Menschen gekommen seien und die Thematik der Konferenz aufgegriffen hätten; damit sei für tanzfähig ein Wunsch in Erfüllung gegangen; sie wisse zwar noch nicht, wie es weitergehen könne, sei aber davon überzeugt, dass es weitergehen werde.
Als Vertreter des Dachverband Tanz Deutschland sah es Michael Freundt als wesentlich an, dass durch die Konferenz KünsterInnen mit Verschiedenheit sichtbar geworden seien, und meinte dazu, je häufiger es passiere, um so deutlicher setze sich das Andere durch und verändere es die Norm. Bei diesem Thema, das alle betreffe, so betonte er, könne der Dachverband vernetzend wirken und Politiker und Förderer ebenso ansprechen wie diejenigen, die auf der Bühne oder in der Ausbildung wirkten.